Johann Wolfgang Goethe
Prometheus
Bedecke deinen Himmel, Zeus,
Da ich ein Kind war,
Ich dich ehren? Wofür?
Mit Wolkendunst!
Nicht wußte, wo aus, wo ein,
Hast du die Schmerzen gelindert
Und übe, Knaben gleich,
Kehrte mein verirrtes Aug’
Je des Beladenen?
Der Disteln köpft,
Zur Sonne, als wenn drüber wär’
Hast du die Tränen gestillet
An Eichen dich und Bergeshöhn!
Ein Ohr, zu hören meine Klage,
Je des Geängsteten?
Mußt mir meine Erde
Ein Herz wie meins,
Doch lassen stehen,
Sich des Bedrängten zu erbarmen.
Hat nicht mich zum Manne geschmiedet
Und meine Hütte,
Die allmächtige Zeit
Die du nicht gebaut,
Wer half mir wider
Und das ewige Schicksal,
Und meinen Herd,
Der Titanen Übermut?
Meine Herrn und deine?
Um dessen Glut
Wer rettete vom Tode mich,
Du mich beneidest.
Von Sklaverei?
Wähntest du etwa,
Hast du’s nicht alles selbst vollendet,
Ich sollte das Leben hassen,
Ich kenn nichts Ärmer’s
Heilig glühend Herz?
In Wüsten fliehn,
Unter der Sonn’ als euch Götter.
Und glühtest, jung und gut,
Weil nicht alle Knabenmorgen-
Ihr nähret kümmerlich
Betrogen, Rettungsdank
Blütenträume reiften?
Von Opfersteuern
Dem Schlafenden dadroben?
Und Gebetshauch
Hier sitz’ ich, forme Menschen
Eure Majestät
Nach meinem Bilde,
Und darbtet, wären
ein Geschlecht, das mir gleich sei,
Nicht Kinder und Bettler
Zu leiden, weinen,
Hoffnungsvolle Toren.
Genießen und zu freuen sich,
Und dein nicht zu achten,
Wie ich.
Sprachanalyse von ”Prometheus”
In dem Gedicht ” Prometheus ” von Goethe handelt es sich um den Halbgott Prometheus.
Das Gedicht umfasst sieben Strophen unterschiedlicher Länge, jeweils zwischen fünf und elf Versen. Die Länge der Strophen hebt die eigentliche Struktur einer Strophe auf, weil die Strophen unterschiedlich lang sind und somit als Abschnitte bezeichnet werden. Es ist durchaus möglich, dass die Strophenlänge das Ausdruckvermögen des Gedichtes unterstreichen soll.
Das Gedicht gliedert sich in drei Teile. Der erste Teil umfasst die ersten zwei Abschnitte; sie sind im Präsens geschrieben und beschreiben die Beziehung zwischen Zeus und Prometheus. Der zweite Teil, der sich von dem dritten bis zum sechsten Abschnitt erstreckt, ist im Präteritum geschrieben und drückt die Kindheitserinnerungen und die Vergangenheit des Prometheus aus. Der dritte Teil des Gedichtes, der letzte Abschnitt, ist wieder im Präsens geschrieben und stellt das gegenwärtige Leben von Prometheus dar.
Der erste Abschnitt des ersten Teiles ist charakterisiert durch die direkte Anrede des Zeus. Ebenso wird Zeus in dem gesamten Gedicht durch das Personalpronomen ” Du ” direkt angesprochen. Dem Leser wird am Anfang des Gedichtes bewusst, dass es sich bei dem Adressaten um Zeus handelt Zugleich ist das Gedicht in der Ich-Perspektive, das heißt von Prometheus geschrieben und daher subjektiv zu betrachten. Anhand der Possessivpronomen und Personalpronomen ( die im ganzen Gedicht vorhanden sind – deinen, meinen, meine, mir, mich) macht Prometheus deutlich, wem was gehört und wo die Grenzen sind. “Bedecke deinen Himmel ” und ” Mußt mir meine Erde doch lassen stehn ” – In den beiden Versen wird genau die Grenze und der Unterschied zwischen Zeus und Prometheus benannt. Zeus lebt im Himmel und betrachtet den Himmel als sein Eigentum, daher “deinen Himmel”. Prometheus dagegen lebt auf der Erde und sieht die Erde als sein Eigentum an, daher “meine Erde”. Zur Unterstützung seines Besitzes nimmt Prometheus die Alliteration mit auf: ” Mußt mir meine Erde doch lassen stehn “. Er betont mit den drei m`s sein Eigentum und macht Zeus nochmals darauf aufmerksam, seinen Besitz nicht zu zerstören. Bereits in dem ersten Vers fordert Prometheus Zeus auf, den Himmel in Wolkendunst zu bedecken. Durch ständige Aufforderungen, Beschimpfungen und Fragen des Prometheus, die sich im gesamten Gedicht wiederholen, kann man relativ schnell erkennen, dass sie einen Kampf gegeneinander führen. Mit der Aggressivität sowie Energie in seiner Stimme und den Vorurteilen gegenüber Zeus steigert er sich noch mehr in den Kampf hinein. Er verspottet Zeus und die Götter. Die einzelnen Vokabeln: Wolkendunst, Opfersteuern, Gebetshauch, kümmerlich, beneiden und und Sätze wie: “Ich kenne nichts Ärmeres Unter der Sonn, als euch, Götter !”, beschreiben Zeus und seine Umgebung äußerst negativ. Während Zeus abhängig von den Opfersteuern und Gebetshauch ist, hat Prometheus soviel Courage, Zeus sogar, um ihn noch mehr zu provozieren, mit “Eure Majestät ” anzusprechen, wobei er nur Verachtung für ihn empfindet. Ferner kann man beobachten, dass sich Prometheus im gesamten Gedicht sehr rebellisch aufführt. Er lehnt sich gegen alle Regeln auf und klagt den Gott des Himmels – Zeus – an. Er führt einen Kampf gegen ihn und verstößt gegen alle Abkommen, die die Götter mit den Menschen vereinbart haben.
Im zweiten Teil des Gedichtes (Abschnitte drei bis sechs) verfällt Prometheus seiner Vergangenheit. Er beginnt seine Kindheitserlebnisse aufzufrischen und beschreibt seine damalige Zeit mit gleichfalls negativen Worten, wie: Klage, Sklaverei, Tode, Schmerzen und das Leben hassen. Er beschreibt seine Vergangenheit sehr negativ, die vergleichbar mit dem gegenwärtigen Leben des Zeus ist. Während Zeus in Prometheus Augen immer noch miserabel lebt, hat Prometheus das Miserable, Negative hinter sich gebracht und steht jetzt über diesen Dingen. Prometheus benutzt, während er seine Kindheitserlebnisse Revue passieren lässt, unbestimmte Artikel ( ein Kind, ein Ohr, ein Herz ). Als Kind fühlt sich Prometheus verlassen und von der Menschheit isoliert. Er hat keinen Bezug zum Leben und ist einsam und allein. Anhand der unbestimmten Artikel kann man den Bezug zum Nicht-Identifizierten herstellen. Die unbestimmten Artikel weisen auf das Neue, noch nicht Bekannte hin. Die Kinderjahre des Prometheus sind ebenfalls noch nicht erfahren und unentdeckt gewesen, wie die unbestimmten Artikel. Gegen Ende des zweiten Teiles treten die bestimmten Artikel auf. Prometheus spricht von den Schmerzen, den Tränen, der allmächtigen Zeit, über das ewige Schicksal und das Leben. Alle Nomen sind jetzt bestimmt und nicht mehr unbekannt, denn in der Zwischenzeit hat Prometheus die Schmerzen, Tränen, … kennengelernt und kann sie jetzt bestimmen. Ferner fallen schmückende Beiwörter wie “die allmächtige Zeit ” auf, die vielleicht allmächtig wie der Gott über uns ist und das Tempo angibt und “das ewige Schicksal ” kann vielleicht für die Unendlichkeit stehen, dem Schicksal nicht entrinnen zu können. Ergänzend treten in den letzten drei Abschnitten des zweiten Teiles ausschließlich Fragen auf. Zeus wird mit Fragen bombardiert und kann sich nicht einmal dazu äußern. Die Fragen bauen aufeinander auf und sind sehr vorwurfsvoll und werden energisch gestellt. Die Wut und der Zorn von Prometheus erreichen hier ihren Höhepunkt. Man kann Aufgebrachtheit und Verachtung aus den Fragen erkennen. Prometheus versucht, Zeus mit den Fragen aus der Reserve zu locken und ihn gleichzeitig zu provozieren, indem er Zeus zum Teil direkt anspricht. Die Vergangenheit, somit der gesamte zweite Teil, nimmt mehr als die Hälfte des Gedichtes ein und unterstreicht die Bedeutung der Kindheitserlebnisse und der Lebenserfahrung Prometheus.
Der dritte Teil des Gedichtes unterscheidet sich grundsätzlich und fundamental von den ersten zwei Teilen. Prometheus wirkt an seinem Auftreten äußerst gelassen und relaxt, schon fast entspannt ( ” Hier sitz ich ” ). Die Wortwahl unterstreicht trotz allem Courage und Provokation ( ” Und dein nicht zu achten Wie ich !” ). Auch das Verb “formen” provoziert Zeus, den Schöpfer, denn Prometheus imitiert ihn, ja – er macht ihn überflüssig, indem er Menschen nach seinem Ebenbild formt. Er greift Zeus direkt an und erscheint ihm überlegen. Obwohl sich Prometheus gegen die göttliche Autorität rebellisch auflehnt, zeigt er Zeus seine Überlegenheit und seine Macht auf der Erde. Er ist nicht nur ein Mensch, sondern auch ein Künstler, der Menschen nach seinem Bilde formt. Sein Ziel ist erreicht, wenn die Menschen, die er formt, genauso couragiert und rebellisch vorgehen, wie er es tut. Mit dem letzten Vers ” Wie ich !” provoziert Prometheus Zeus noch einmal und präsentiert seinen Sieg. Interpretation
Das Gedicht ,,Prometheus”, verfasst 1774 von Johann Wolfgang Goethe, bezieht sich auf die griechische Sage von Prometheus, eines Titanen, der den Menschen das Feuer gebracht hat und daraufhin von Zeus bestraft wurde. Prometheus gilt als Schöpfer der Menschen. In dem vorliegenden Gedicht richtet Prometheus sich in einem Monolog an Zeus und lehnt sich gegen diesen auf. Er betont seine Unabhängigkeit und verspottet die Götter. Das Gedicht setzt sich aus sieben Strophen zusammen, die Verszahl ist nicht einheitlich, sie reicht von 4 bis 12 Versen pro Strophe. Auch die Länge der Strophen schwankt stark. Ein Reim ist ebenso wenig vorhanden, wie ein Rhythmus. Bei Betrachtung der Sprache fällt auf, dass Goethe häufig Imperative verwendet, besonders in der ersten Strophe und Prometheus sehr viele Fragen stellt, welche dem Gedicht einen anklagenden, aufgebrachten Ton verleihen. Prometheus redet Zeus mit Namen an, so dass dem Leser direkt am Anfangs des Gedichts der Adressat bewusst wird. Bereits in der ersten Strophe verdeutlicht Prometheus den Gegensatz zwischen sich und Zeus, indem er diesem dem Himmel und sich selbst die Erde zuordnet (,,deinen Himmel”, ,,meine Erde”). Auch wirft er Zeus vor, er beneide ihn nur um das Feuer, welches Prometheus auf die Erde gebracht hat (,,meinen Herd, um dessen Glut du mich beneidest”). In der zweiten Strophe verspottet Prometheus die Götter, indem er ihnen Abhängigkeit von ,,Kindern und Bettlern” vorwirft. Die nächsten Strophen zeigen den Grund für Prometheus´` Zorn auf Zeus. In seiner Kindheit hoffte er in der Not auf die Hilfe von Zeus, diese wurde ihm jedoch nicht gewährt, so musste er sich selbst helfen, was ihm gelang. Daher sagt er sich nun rebellisch von Zeus los und bezeichnet allein sein eigenes Herz als heilig. Er wirft Zeus vor, die Menschen zu betrügen und sich nicht um sie zu kümmern. In der fünften Strophe wird deutlich, dass nur das Schicksal und die Zeit sowohl über Prometheus als auch über Zeus stehen. Am Ende des Gedichts steigert sich Prometheus´ Selbstverherrlichung noch einmal dadurch, dass er sich selbst als Schöpfer beschreibt, der Menschen nach seinem Ebenbild erschafft, Menschen, die die Götter nicht beachten. Auch erfolgt eine besondere Betonung durch den Gebrauch des Wortes ,,ich” als letztes des gesamten Gedichtes.
Goethes Gedicht zählt zur Literatur des ,,Sturm und Drang”, die sich dadurch auszeichnet, dass sie den Menschen, im besonderen den Künstler, als Schöpfer auffasst, ebenso wie Prometheus im Gedicht sich selbst. Dem Genie werden göttliche Kräfte zugesprochen, was sich in Prometheus` Benennung seines eigenen Herzens als ,,heilig” widerspiegelt. Auch das zentrale Thema des Gedichtes, die Auflehnung gegen religiöse Tradition, spielt in der Zeit des ,,Sturm und Drang” eine wichtige Rolle. Der Aspekt der Freiheit zeigt sich auch in der Gestalt des Gedichtes, der Ungebundenheit an Rhythmus und Strophenlänge. |