Schlafforschung und Traumdeutung

Im Folgenden sollen einige Grundmaterialien vorgestellt werden, die zunächst die Ergebnisse der modernen Schlafforschung zusammenfassen. Anschließend – im zweiten Teil – werden dann Ansätze zu einer fruchtbaren Traumdeutung verdeutlicht.
Mein Ausgangspunkt ist, dass ich in Träumen immer wieder faszinierende Botschaften aus der unendlichen Welt des Unbewussten erkenne. Allerdings bin ich weit weg von der “Analyse” mit so genannten “Traumdeutungsbüchern”. Einzelnen Symbolen eine fest stehende Bedeutung zu verpassen, das ist eine Verkürzung und – wenn es so etwas gibt – eine Fehldeutung des Traumes. Nein – jeder Träumer ist sich selbst der beste Traumdeuter und mit ein bisschen Übung und ein paar neuen Techniken sollte es möglich sein, sich selbst und seinen Traumbotschaften auf die Schliche zu kommen. Ganz nach dem Motto:
Ein ungedeuteter Traum ist wie ein ungelesener Brief.

Träumen – was, wie, wieviel?

Worüber träumen wir?
Über alles – und noch mehr! Träume wurzeln in unserer Realität, können aber darüber hinaus gehen. In unseren Träumen kommen alle möglichen alltäglichen Motive vor, zum Beispiel Auto fahren, Gespräche, Reisen oder Einkaufen. Keine davon sind typisch oder besonders häufig. Es kommt immer ganz darauf an, womit man im Wachzustand gerade zu tun hatte. Etwa ein Viertel der Träume bleibt dabei ganz realistisch (“Ich gehe in der Fußgängerzone einkaufen.”), bei der Hälfte vermischen sich realistische mit ein wenig merkwürdigen Motiven (“Ich gehe im Bademantel in der Fußgängerzone einkaufen.”), und beim restlichen Viertel geht es noch wilder zu (“Ich gehe in Schwimmflügeln in der Fußgängerzone einkaufen und die Häuser verbiegen sich”.)

Wie sehen wir im Traum?
Unscharf ist an unseren Träumen nur die Erinnerung. Meist sehen wir in unseren Träumen so, wie im Wachzustand auch. Nur manchmal ist der Hintergrund etwas verwaschen und einige behaupten auch, schwarz/weiß zu träumen. Wie in der Wirklichkeit kommen im Traum Bilder und Sprache vor; Riechen, Schmecken und Berührung allerdings nur sehr selten.
Träumen Frauen anders als Männer?
Ja, die Klischees stimmen, sagen die Wissenschaftler. Das hängt wahrscheinlich weniger damit zusammen, dass Männer und Frauen grundsätzlich verschieden sind, sondern vor allem (wenn auch nicht ausschließlich) damit, dass sie einen anderen Alltag haben. Die Träume berufstätiger Frauen zum Beispiel sind männlichen Träume ähnlicher.
Frauen mehr von “Indoor settings”, also von häuslichen Szenen, Männer träumen mehr von “Outdoor settings”.
Männer träumen häufiger von Männern, Frauen etwa gleich häufig von Männern und Frauen.
In den Träumen von Frauen kommen insgesamt mehr Traumpersonen vor.
Männer träumen mehr von Sex und Aggressionen als Frauen.
Frauen träumen häufiger explizit von Gefühlen.
Männer träumen mehr von Waffen, Frauen mehr von Haushaltsartikeln und Kleidung.
Frauen können sich besser an ihre Träume erinnern.
Aggressive Personen in Angstträumen sind typischerweise männlich.
Träumen Kinder anders als Erwachsene?
Ja. Wie Säuglinge träumen, weiß leider niemand, obwohl sie sehr lange REM-Schlaf-Phasen haben.. Kinder träumen mehr von Tieren als Erwachsene und haben häufiger Albträume. Kinder halten ihre Träume in der Regel auch erst mal für real. Erst mit 5-6 Jahren haben 90 Prozent verstanden, dass Träume Träume sind.

Wie träumen Blinde?
Blinde erleben ihre Träume genauso intensiv wie Sehende. Denn Träumen ist kein Film, der vor dem inneren Auge abläuft, sondern Erleben. Liest man eine Traumschilderung von Blinden, kann man sie zunächst von der einer sehenden Person kaum unterscheiden. Auch Blinde berichten: “Und dann ging ich da und da hin, traf den und den, der dann das und das tat…” Allerdings sagen sie natürlich nicht: “Und dann blickte ich in den Himmel und sah dort…” Wer erst nach dem 7. Lebensjahr erblindet ist, kann im Traum noch sehr lange bildhafte Eindrücke haben. Bei den blind geborenen stehen beim Träumen die anderen Sinnesqualitäten mehr im Vordergrund.

Wie viel träumen wir?
Wir träumen nicht nur wenige Momente lang, sondern die gesamte Nacht! Das macht bei durchschnittlich 7 Stunden Schlaf 49 Stunden die Woche, 2646 Stunden im Jahr und, wenn man 80 Jahre alt wird, 211 680 Stunden, fast ein Drittel unseres Lebens. Während des so genannten REM-Schlafs träumen wir besonders intensiv.

Berühmte Träume

Der Traum des Joseph
Bis es zu der legendären Traumdeutung kam, hatte der alttestamentarische Joseph ein hartes Leben. Der Sohn Jacobs und Rachels wurde von seinen 11 Brüdern nach Ägypten verstoßen.
Dort kam er wegen einer Falschbeschuldigung ins Gefängnis. Hinter Gittern deutete er die Träume mehrer Mitgefangener richtig und lernte den späteren Mundschenk des Pharao kennen.
Jahre später beschäftigte den regierenden Pharao ein Traum: Er träumte von sieben mageren und sieben fetten Kühen und Ähren, konnte sich ihre Bedeutung jedoch nicht erklären.
Sein Mundschenk erinnerte sich an Joseph. Der Pharao holte ihn aus dem Gefängnis. Joseph interpretierte die sieben fetten und sieben mageren Kühe als eine Art “Klimavorhersage”. Und er behielt Recht. Es folgten sieben gute und sieben schlechte Ernten. Weil die Ägypter gewarnt waren, legten sie in den reichen Jahren genügend Vorräte für die kargen an – und überstanden die Hungerzeit.

Abraham Lincoln (1809 – 1865)
1860 wurde der Rechtsanwalt aus Illinois zum 16. Präsidenten der USA gewählt. Seine politische Überzeugung: “Regierung des Volkes durch das Volk, für das Volk” und sein wichtigstes politisches Ziel: die Abschaffung der Sklaverei.
Deshalb trennten sich die Sklavenstaaten des Südens am Tag seiner Wahl vom Norden. Daraufhin erklärte Lincoln dem Süden den Krieg. 1862 unterzeichnete Lincoln die Proklamation zur Befreiung der Sklaven. Drei Jahre später, 1865, wurde er wieder gewählt. Anfang April war der Süden endgültig besiegt, die Kapitulation nur noch eine Frage von Tagen. In dieser Stimmung des Sieges und Friedens hatte Lincoln in der Nacht vom 10. auf den 11. April einen beunruhigenden Traum:
Er sah seiner eigenen Beerdigung zu. Und auf die Frage, die er im Traum einem der Wachsoldaten stellte, wer denn gestorben sei, erhielt er die Antwort: “Der Präsident, getötet durch einen Attentäter.”. Lincoln erzählte den Traum seiner Frau Mary und einem Freund, seinem Leibwächter Ward Hill Lamon. Er glaubte zwar an die Bedeutung von Träumen, doch die beunruhigende Stimmung war schnell verflogen. Drei Tage später, Karfreitag, ging das Präsidentenpaar ins Theater. Eine Komödie. Lamon konnte sie nicht begleiten.
Um 22 Uhr 13 wurde Lincoln von dem fanatischen Südstaatler John Wilkes Booth erschossen. Er starb am nächsten Morgen an seiner schweren Kopfverletzung.
Der Tod durch die Hand eines Attentäters machte Abraham Lincoln zur Legende. In der Erinnerung vieler Amerikaner verkörpert er alle politischen Tugenden des amerikanischen Volkes.

Friedrich August Kekulé von Stradonitz (1829 – 1896)
Der Chemiker beschäftigte sich 1865 in der belgischen Stadt Gent mit der Struktur von Benzol. Viele Eigenschaften des chemischen Stoffes waren bekannt. Doch wusste man noch nicht, wie die sechs Kohlenstoff- und sechs Wasserstoffatome angeordnet sein könnten, so dass sich die vielen chemischen Eigenarten des Benzols erklären ließen. Herkömmliche “Kohlenwasserstoffe” waren kettenförmig aufgebaut. Über dieser Frage nickte Kekulé an einem Abend vor dem Kamin ein. Das Feuer knisterte. Vor seinem inneren Augen tanzten die Atome, wie kleine Insekten. Plötzlich trat eine Schlange in den Vordergrund. Ein Ourobouros, eine alte alchemistische Figur. Und sie biss sich in den Schwanz, zu einem Ring.
Kekulé erwachte und wusste: Das war die Lösung. Die Atome des Benzols sind Ring förmig angeordnet.
Erst 35 Jahre später erzählte Kekulé zum ersten Mal von diesem Traum – auf der so genannten “Benzolfeier”, die die chemische Industrie zu seinen Ehren veranstaltete. Kritiker halten seine Traumgeschichte deshalb für ein Märchen; erdacht, um die immer wiederkehrenden Fragen der Kollegen und Journalisten nach der Entdeckung und nach seiner Person abzuwehren

Adolf Hitler ( 1889 – 1945)
Zwar hatte der Diktator von Beginn an ein großes Selbstbewusstsein. Doch ein Traum, den er als Soldat während des Ersten Weltkrieges gehabt haben soll, könnte ihn in seinem Wahn, etwas Außergewöhnliches zu sein, bestätigt haben.
1917 lag er in einem Schützengraben und schlief. Er träumte, unter einer Lawine aus Erde und geschmolzenem Eisen begraben zu sein. Daraufhin erwachte er und verließ den Graben. In dem Augenblick wurde der Graben durch Bomben zerstört. Nur er überlebte. Damit hielt er sich für auserwählt.

Albert Einstein (1879 – 1955)
Der Physiker raste eines nachts mit einem Schlitten einen Abhang herab. Als er beinahe Lichtgeschwindigkeit erreicht hatte, brachen die Sterne über ihm das Licht in Farbspektren, die er noch nie gesehen hatte. Er vergaß diese Bild nie.
Später behauptete er, dass sein ganzes kreativ wissenschaftliches Schaffen durch diesen Traum motiviert wurde.

Schlaf und Traum
Ein Drittel unseres Lebens verbringen wir im Schlaf. Eine Tatsache, die völlig selbstverständlich scheint. Aber nur ein Bruchteil des Schlafes benötigt der Körper, um wieder fit für den nächsten Tag zu werden. Wieso wir die restlichen Stunden im Schlaf verbringen, ist bis heute ungeklärt. Den längsten Zeitraum ohne Schlaf verbrachte 1965 der Amerikaner Randy Gardner. Schlafwissenschaftler überwachten seinen Selbstversuch und brachen ihn nach 11 Tagen ohne Schlaf ab. Noch in der letzten schlaflosen Nacht gewann Randy im Flipper gegen seine Betreuer. Er überstand das anstrengende Experiment ohne sichtbare bleibende Schäden.

Ein noch viel grösseres Rätsel als der Schlaf ist das Träumen. Schlafforscher können durch Elektroden am Kopf der Versuchsschläfer feststellen, in welcher Schlafphase sie sich gerade befinden. Aber ob sie auch träumen, können sie nicht messen. Im Jahr 1953 entdeckten amerikanische Wissenschaftler durch Zufall den so genannten REM-Schlaf. Sie untersuchten als Erste den Schlaf von Kleinkindern und bei diesen kommt diese Art des Schlafs besonders häufig vor. Er wird nach den schnellen Augenbewegungen benannt, auf Englisch RapidEye Movements, die in dieser Schlafphase vorkommen. Die Schlafforscher stellten fest, dass Personen, die aus diesem so genannten REM-Schlaf geweckt werden, häufiger von Träumen berichten als Versuchspersonen, die aus anderen Schlafphasen geweckt werden. Sie folgerten also, dass Träumen gleich bedeutend sei mit dem REM-Schlaf. Eine Vermutung, die sich heute so nicht mehr halten lässt.

Der REM-Schlaf
Schon in den Jahren nach der Entdeckung des REM-Schlafes gab es Zweifel an der Theorie, dass dieser gleich bedeutend mit dem Träumen sei. In den 90er-Jahren des letzten Jahrhunderts machte dann ein Londoner Wissenschaftler eine interessante Beobachtung. Er untersuchte Patienten, bei denen Teile des Gehirns durch Unfälle oder Gehirntumore geschädigt sind. Dabei stellte er fest, dass Patienten, deren REM-Schlafzentrum zerstört ist, zwar keinen REM-Schlaf mehr haben, aber trotzdem sehr oft noch träumen. Und umgekehrt beobachtete er, dass Patienten mit einer Schädigung im vorderen Hirnlappen meistens nicht mehr träumen, obwohl ihr REM-Schlaf ganz normal verläuft. REM-Schlaf und Träumen scheinen also zwei voneinander unabhängige Vorgänge zu sein. Heute vermuten viele Wissenschaftler, dass wir von der ersten bis zur letzen Minute unseres Schlafes träumen. Und da zum Beispiel der Schlaf in der REM-Phase leichter ist und das Gehirn aktiver als im Tiefschlaf, können in dieser Schlafphase häufiger lebhafte Träume vorkommen – Träume, an die man sich eher erinnert als an “langweilige” Tiefschlafträume.

Neue Erkenntnisse durch PET
Neue Erkenntnisse versprechen sich die Traumforscher von Methoden wie der Positronen – Emissions – Tomographie, kurz PET. Mit diesem Verfahren können aktive Bereiche des Gehirns sichtbar gemacht werden. Einer der Pioniere dieser Methode in der Schlafforschung ist Dr. Pierre Maquet von der Universität Lüttich in Belgien. Er stellte fest, dass Testschläfer in der REM-Phase ein besonders aktives limbisches System haben. Das limbische System ist ein Gehirngebiet, das für unsere Gefühle zuständig ist. Die meisten Schläfer, die er nach dem Versuch weckte, berichteten auch von Träumen. Er vermutet also, dass das limbische System beim Träumen besonders aktiv ist und ihnen die besondere emotionale Qualität gibt. Aber auch für ihn bleibt das Grundproblem der Traumforschung bestehen: er kann nie sagen, ob während seiner PET-Aufnahmen die Versuchspersonen träumen oder nicht. Er zieht es zurzeit daher auch vor, sich “nur” der Erforschung der Gehirnaktivitäten in den verschiedenen Schlafphasen zu widmen.

Traumdeutung
Schlüssel zur Seele oder Humbug?
Seit Alters her erzählen sich die Menschen ihre Träume. Jede Kultur schreibt den Symbolen und Geschichten der Nacht eine andere Rolle zu. So befassten sich die alten Ägypter intensiv mit ihren Trauminhalten. Ihre Art der Deutung erscheint uns heute vielleicht ein wenig zu konkret:
Wenn im Traum eine Frau ihren Mann küsst, wird sie in Schwierigkeiten geraten.
Wenn sie im Traum eine Katze gebärt, wird sie viele Kinder haben.
Wenn sie im Traum einen Hund gebärt, wird sie einen Knaben haben.
Die Traumdeutung des biblischen Joseph erinnert ebenfalls an diese Zeit (siehe “Berühmte Träume”).

Die Traum-Theorie Sigmund Freuds
In Mitteleuropa begann die “moderne” Traumdeutung mit der Veröffentlichung Sigmund Freuds (1856 – 1939) zu dem Thema. Er und sein ehemaliger Schüler Carl Gustav Jung (1875 – 1961) gelten als die Väter der Traumdeutung in Europa. Vereinfacht kann man sagen, dass Freud die menschliche Seele in drei Bereiche einteilte: Das ICH (Bewusstsein), das ES und das ÜBER ICH (anerzogene Normen). Nachts könne das ES den Schlaf des ICH stören. Verbotene triebhafte Fantasien und verdrängte Erinnerungen drängen nach oben. Die im Wachleben vom ÜBER ICH unterdrückten Gedanken würden den Schlafenden wecken, behauptete Freud.
Deshalb gibt es die Träume. Sie schützen den Schlaf vor den verbotenen Bildern des ES, indem sie diese “verkleiden”. Verbotene Wünsche werden im Traum auf den ersten Blick zu harmlosen, akzeptablen Gegenständen oder Ereignissen.
Damit verstecke sich in den Symbolen des Traums das ES. Im Traum habe das Unbewusste die Möglichkeit, sich “auszuleben”, ohne dass das Bewusstsein zu sehr gestört werde.
Der Träumer erzählt zunächst den offensichtlichen Inhalt des Traums. Der Traumdeuter müsse dann den Symbolen ihre harmlose Maske abnehmen, um an den wahren Inhalt des Traums zu gelangen, und damit die verdrängten, unterdrückten Gefühle aufzudecken.

Der abtrünnige Schüler: C.G.Jung
Auch Jung sah in den Träumen den Weg zum Unbewussten. Im Gegensatz zu Freud, für den jeder Lebensantrieb und damit auch jede Wunschvorstellung sexueller Natur sein musste, konnte sich Jung auch andere Gründe für Traumsymbole vorstellen. Er prägte unter anderem den Begriff des “Archetypen” – Teile der Psyche, die einem allgemeinen, kollektiven Unbewussten entspringen. Bestimmte Symbole verschlüsseln für jeden Menschen einer Kulturgruppe das Gleiche, glaubte Jung. Nach Jung lassen sich Träume auf zwei Arten betrachten: Auf der einen Seite zeigen sie die Persönlichkeit des Träumers (die so genannte “Subjektstufe”), auf der anderen das, was der Träumer am Tag erlebt hat (“Objektstufe”). Alle Symbole könnten aus beiden Perspektiven gedeutet werden.

Traumdeutung heute
Viele Traumdeuter berufen sich heute vor allem auf die Arbeiten von C. G. Jung. Nach ihrer Ansicht ist sinnvolle Traumarbeit nur möglich, wenn der Therapeut die Person des Träumers möglichst gut kennt:; vor allem seine Vergangenheit und seine Lebenssituation. Nur so ließen sich die Symbole im Traum verstehen. Oft ist die Traumarbeit Teil einer Analyse.
Vielen Menschen fällt es leichter, die Geschichte eines Traums zu erzählen, als gleich über ihre Gefühle zu berichten. Damit kann ein Traum für einen Therapeuten schon eine Brücke in das Unbewusste und Verdrängte des Träumers bedeuten.

Der Tiger als Traumsymbol
Wir haben für die Sendung ein kleines Experiment gemacht. Unser Material: ein Kindertraum von Ranga Yogeshwar. Unser Ziel: die Bedeutung des Hauptsymbols zu verstehen, des Tigers. Dabei sind wir zunächst im Internet auf oft sehr bunte Traumdeutungsseiten gestoßen. Neben Angeboten für Wochenendseminare zum Thema und Ferndeutungen per E-Mail findet man auch Symboldeutungsseiten. Leider unterscheiden sich die Erklärungen für Rangas Traumtiger sowohl auf den unterschiedlichen Seiten im Internet als auch in den Symbolbüchern im Buchladen.
Sie können es selber einmal ausprobieren. Nehmen Sie ein beliebiges Symbol eines Ihrer letzten Träume, und vergleichen Sie die Deutungen der unterschiedlichen Quellen.
Im zweiten Schritt sind wir zu einem Psychologen gegangen. Er ist Traumexperte der C. G. Jung Gesellschaft in Köln. Dabei sind zwei Dinge klar geworden:
Zum einen braucht seriöse Traumarbeit Zeit. Zum anderen darf man auf keinen Fall eine konkrete Übersetzung des Traums erwarten. Eher bedeutet die Traumgeschichte eine Gesprächsgrundlage für den Therapeuten. Ranga Yogeshwar hat seinen Traum erzählt. Dann hat der Therapeut versucht zu erfahren, was das Symbol des Tigers für ihn damals und heute bedeutet. Nicht der Traumexperte deutet den Traum, sondern der Träumer interpretiert im Grunde seinen Traum selber, unter der Führung des Fachmanns.
Ein erstaunliches Ergebnis: Für einen “Jungianer” steht jeder Teil eines Traums für einen Teil des Träumers selber. So ist der “Tiger”, von dem Ranga vor 35 Jahren geträumt hat, auch ein Teil des Jungen Ranga gewesen. Der Junge hatte einerseits Angst vor einem “Tiger”, andererseits steckte dieses Raubtier gleichzeitig in ihm selber, als Symbol für ein gewisses aggressives Potenzial.

Hatte Freud Recht?

Sigmund Freud hatte in der Nacht vom 23. auf den 24. Juli 1895 einen folgenschweren Traum: Er träumte von einer Patientin, die er zu dieser Zeit behandelte. Ihr ging es sehr schlecht, sowohl in Wirklichkeit als auch im Traum. Im Traum war aber nicht Freud für ihren schlechten Zustand verantwortlich, sondern ein anderer Arzt. Dieser gab ihr im Traum eine verschmutzte Spritze.
Als Freud am nächsten Morgen über seinen Traum nachdachte, fiel ihm auf, dass dieser Traum ihm einen Wunsch erfüllte: Nicht schuldig zu sein für den schlechten Gesundheitszustand der Patientin. Er folgerte also, dass der Traum eine Wunscherfüllung sei. Er untersuchte noch unzählige andere Träume und kam immer wieder auf diese Grundformel. Ein anderes Beispiel: Er war durstig zu Bett gegangen und träumte dann, ein frisches Glas Wasser zu trinken. Wieder eine ganz klare Wunscherfüllung. Und: dieser Traum ersparte es ihm, aufzuwachen und sich tatsächlich ein Glas Wasser zu holen. Er konnte ja im Traum seinen Durst stillen und so blieb sein Schlaf ungestört. Er formulierte diese Erkenntnis dann so, dass der Traum der Hüter des Schlafes sei.
Im November 1899 veröffentlichte Freud sein Buch “Die Traumdeutung”. Es ist also etwas über hundert Jahre alt. Freud bezeichnete es immer als eines seiner wichtigsten Werke, denn mit ihm hat er die Bedeutung des Unbewussten entdeckt, und das sollte die Grundlage für seine weitere Arbeit bleiben. Freud hat mit der Erkenntnis, welche Macht das Unbewusste oft ausübt, das Menschenbild im 20. Jahrhundert gründlich umgekrempelt. Ausdrücke wie “verdrängen” oder “unbewusst” sind mittlerweile Ausdrücke aus der Alltagssprache. Seine Erkenntnisse über den Traum wurden aber vor allem nach der Entdeckung des REM-Schlafes stark in Frage gestellt. Die Wissenschaftler glaubten, den Traum alleine durch die Aktivität von Nervenzellen erklären zu können: er sei eine zufällige Aktivität von Nervenzellen ohne tiefere Bedeutung. Seit der Beobachtung, dass REM-Schlaf und Traum nicht gleich bedeutend ist, konnten sie diese Theorie aber nicht halten. Schon Freud hatte übrigens am Anfang seiner wissenschaftlichen Laufbahn eine gross angelegte Theorie über die Funkionsweise des Gehirns mit seinen Nervenzellen geschrieben. Er scheiterte daran, da die Wissenschaft damals noch nicht weit genug war. Ab diesem Zeitpunkt widmete er sich nur noch der Erforschung des Seelenlebens.
Der Londoner Traumforscher Mark Solms glaubt nun, Hinweise dafür zu haben, dass Freuds Theorie der Wunscherfüllung durch den Traum doch stimmen könnte. Er stellte fest, dass Patienten mit einer Schädigung im vorderen Hirnlappen oft nicht mehr träumen. Dieses Gehirngebiet ist aber unter anderem für Motivation und Antrieb, also auch für “Wünsche” zuständig. Ohne Wünsche also keine Träume; wie von Freud behauptet. Diese These teilen aber nicht alle Traumforscher und so bleibt es spannend, ob wir irgendwann einmal wissen werden, warum wir eigentlich träumen.

Albtraum

Was sind Albträume?
Albträume unterscheiden sich von anderen schlechten Träumen dadurch, dass der Inhalt so stark belastet, dass der Schlafende davon aufwacht. Und in der Regel reagiert der Körper nur bei Albträumen: Der Atem wird schneller und flacher und die Herzfrequenz steigt an. Das häufigste Traummotiv ist die Verfolgung, aber auch Fallen und der Verlust einer nahe stehenden Person kommen häufig vor.

Wer bekommt Albträume?

Im Prinzip kann jeder Mensch Albträume haben. Starke psychische Belastungen, Prüfungsstress, Angst um den Arbeitsplatz oder familiäre Probleme können zu Albträumen führen. Kinder haben häufiger Albräume als Erwachsene. Über den Grund dafür gibt es nur Spekulationen. So nehmen einige Experten an, dass auf Kinder viele Eindrücke noch angstauslösend wirken, da sie noch keine gegenteiligen Erfahrungen gemacht haben. In der Gruppe, die stark unter Albträumen leiden, die also einmal pro Woche oder häufiger nachts mit Angst erwachen, sind Kinder und Erwachsene allerdings gleich häufig vertreten. Experten schätzen, dass etwa fünf Prozent aller BundesbürgerInnen darunter leiden. Darunter sind offenbar viele besonders sensible Menschen. Vielleicht haben Sie die Neigung zu Albträumen ererbt – neuere Untersuchungen weisen in diese Richtung.

Kann man etwas gegen Albträume tun?

Ja, es gibt eine Methode aus der Psychologie, die vor allem bei immer wiederkehrenden Albtraummotiven angewendet werden kann. Bei dieser “Kognitiven Verhaltenstherapie” geht es nicht um die Ursache für die Albträume, sondern um den Albtraum und die Angst. Als Erstes muss man sich – unter Anleitung des Therapeuten – mit dem Traum beschäftigen. Dabei hilft das Aufschreiben dabei, den Traum richtig zu erinnern. Die Angst vergrößert sich nach Meinung der Experten nur, wenn man über seine Angst hinweggeht. Im zweiten Schritt sollte man sich fragen, was das Bedrohlichste war und sich ein besseres Ende vorstellen. Auch hier ist das Aufschreiben nützlich, weil dieses Ende dann besser im Gedächtnis bleibt. Dann die Hausaufgabe: Jeden Tag sollte man sich für fünf Minuten das angenehme Traumende bildlich vorstellen, dann – so die Theorie – sollte es nach ein bis zwei Wochen auch im Traum auftauchen. Das funktioniert deshalb, weil im Traum vieles von dem auftaucht, womit wir uns am Tag beschäftigen.
Auch bei Kindern funktioniert diese Methode, sie sollten Traum und besseres Traumende aufmalen. Allerdings sollte man mit kleinen Kindern nach Albträumen einen “Realitätscheck” durchgehen – also z. B. unter dem Bett nachsehen, ob dort wirklich ein Monster sitzt. Denn Kinder bis zu einem Alter von etwa sechs Jahren kennen den Unterschied zwischen Wirklichkeit und Traum noch nicht. Für sie ist der Traum real.