4. DER STEIN DES ANSTOßES
Die steigende Popularität dieses Jesus, der aus Nazareth kam, war den jüdischen Führern natürlich nicht verborgen geblieben. Schon mehrfach hatten sie Boten zu ihm gesandt, zunächst, um sich über ihn zu erkundigen, später, um ihn lächerlich zu machen und als Scharlatan zu entlarven.
Aber; so geschickt, wie sie es auch eingefädelt hatten: er fand immer einen Ausweg. Mehr noch: er schaffte es sogar, den Bumerang zurückzuwerfen und den Tempel anzugreifen, ohne dass man ihn dafür hätte verurteilen können.
Ein Beispiel dafür war die Steuerfrage.[1]
Für die leidgeprüfte jüdische Führung, die oft genug aufgrund von ganz bestimmten Sachzwängen Entscheidungen treffen mussten, die zum Teil auch gegen die eigene ÜÜberzeugung verstießen, schien dieses komplizierte Thema ein geeignetes Feld zu bieten, um vor aller Welt zu verdeutlichen, wie leicht es sich dieser Jesus machte und dass er für die komplizierte politische Situation auch keinen Ausweg aufzeigen konnte.
So hatte man also einige harmlos ausschauende Provokateure unter seine Zuhörer gemischt, die ihm dann die entscheidende Frage stellten:
„Meister, sollen wir dem Kaiser Steuern zahlen oder nicht?“
Damit hatten sie, jedenfalls nach menschlichem Ermessen, eine unlösbare, ja sogar eine fast tödliche Falle gestellt, denn auf diese Frage konnte es keine Antwort geben.
Sollte Jesus die Frage bejahen, dann hätte er seine jüdischen Anhänger verloren, denn nichts war verhasster, als die römische Steuerlast, die ja immer wieder das Vasallentum des jüdischen Bürgers deutlich machte und die dem religiösen Selbstverständnis, das von Gott geliebte, auserwählte Volk zu sein, fundamental entgegenstand.
Hätte Jesus die Frage verneint, dann hätte er sich eines todeswürdigen Verbrechens schuldig gemacht: Aufruf zur Steuerverweigerung. Das war ein terroristischer Akt, denn der Lebensnerv eines Staates verläuft immer ganz dicht an der Geldader. Hierbei kannten die Römer kein Pardon, es gab nur eine Strafe dafür: das Kreuz.
Diese Frage, in der Öffentlichkeit, unvorbereitet gestellt, konnte nur mit einer Niederlage für den Befragten enden. Und was tat Jesus? Er antwortete:
„Zeigt mir einen Dinar.“
Er hatte also gar kein Geld bei sich. Geschickt. Denn: Jedes römische Geldstück zeigte ein Abbild des Kaisers. Ein Jude, der sich an das Bilderverbot des mosaischen Gesetzes hielt, durfte also dieses heidnische Geld, streng genommen, gar nicht berühren, geschweige denn besitzen.
Indem die Fragesteller ein solches Geldstück vorzeigten, setzte Jesus sie zum ersten mal ins Unrecht. Die Frage:
„Welches Bildnis zeigt es?“ ist nur noch rhetorisch.
Sprichwörtlich dann schon seine Aussage:
„Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“
Was soll man zu einer solchen Unverfrorenheit noch sagen?
Natürlich ist das ein Aufruf zur Steuerverweigerung. Aber wer will das schon beweisen? Im Gegenteil: Jesus geht noch weiter und greift den Tempel und seine Priesterschaft an, die ja immer noch das religiöse und finanzielle Machtzentrum der Juden bilden. Einen solchen Affront kann sich auf Dauer niemand gefallen lassen. Und so fiel auch schon lange Zeit, bevor Jesus nach Jerusalem kam der Beschluss, ihn unschädlich zu machen, nötigenfalls auch zu töten. Denn:
„Es ist besser, dass ein Mensch für das Volk stirbt, als dass das ganze Volk verdirbt.“
Aber:
„Nur nicht am Fest, dass es nicht etwa noch einen Aufstand im Volk gibt.“ (Mt. 26,3 f.)
Denn es war ohne jeden Zweifel, dass Pilatus auch in diesem Jahr wieder jeden Vorwand ergreifen würde, um brutal zuzuschlagen.
Man hatte in Jerusalem schon gehört, dass Jesus und mit ihm eine Anzahl von befreundeten Galiläern zum Pessach – Fest erwartet wurden. Nun – was sollte man tun? Noch hatte er sich keines Verbrechens schuldig gemacht. Dass manche Menschen von ihm behaupteten, er sei der Messias, war, jedenfalls nach jüdischem Recht, kein Verbrechen, im Gegenteil:
Gerade zum Fest erwarteten ja Tausende von Gläubigen den von Gott Gesandten. Wie aber sollte man wissen, dass es sich um den Messias handelt, wenn er es nicht sagt? Hätten also die Priester dies als Vorwand für die Verhaftung genommen, sie hätten sich selbst außerhalb der göttlichen Verheißung gestellt. Man musste also auf bessere Gründe warten und versuchen, diesen Jesus möglichst heimlich festzunehmen und verschwinden zu lassen.
[1] Nach Mk. 12, 13 – 17.
Den Ansatz zu diesem Verständnis verdanke ich dem jüdischen Neutestamentler Pinchas Lapide.