Bericht des Händlers Flavius
Der Händler Flavius an seine Freundin Mariamne in Ostia.
Seid gegrüßt!
Mein Schreiben erreicht Euch aus der östlichsten Provinz unseres großen Reiches, aus einem Teil des Landes, der vielen unserer Landsleute lediglich durch die Berichte von Aufstand und Krieg in höchst unerfreulicher Erinnerung ist. Daher meiden viele rechtschaffende Menschen diesen Landesteil und, wie ich nun weiß, zu Recht. Ich allerdings kann mir meine Handelswege nicht aussuchen und so habe ich das zweifelhafte Vergnügen, diesen unruhigen Landstrich höchstselbst zu durchreisen.
So möchte ich Euch denn nicht in Unkenntnis lassen von Ereignissen, die ich jüngst hier erleben musste und die euch in der Nähe unseres geliebten Roms sicherlich höchst merkwürdig vorkommen werden. Ich kann aber mit meinem Ehrenwort versichern, dass alles genau so geschehen ist, wie ich es berichte und dass ich nichts hinzugefügt und nichts weg gelassen habe.
Vor einigen Wochen also erreichte ich die Provinz Judäa, wo ich in der Hauptstadt, man nennt sie Jerusalem, einige Gewürze erstehen wollte. Die hier lebenden Juden sind bekannt als ein sehr unruhiges und widerspenstiges Volk, was den Kaiser schon häufiger zu heftigen Strafmaßnahmen zwang. Immer wieder kommt es zu blutigen Aufständen, die mit großer Mühe und viel Weitsicht beruhigt werden können. Dabei ist diese Unruhe eigentlich völlig unverständlich, denn unser Kaiser weiß um die Situation und lässt diesem Volk der Juden schon viele Sonderprivilegien zukommen. So sind diese zum Beispiel davon entbunden, unseren erhabenen Kaiser mit seinem ihm gebührenden Titel „Göttlicher Kaiser“ zu huldigen. Denn, stellt Euch nur vor, in diesem Landesteil gibt es einen Aberglauben der davon ausgeht, dass es lediglich einen einzigen Gott geben würde! Der sollte sich nur einmal in unserem Pantheon umschauen und versuchen, sich mit all unseren Göttern zu messen. Das wäre ein Spektakel!
Aber lassen wir das – die Situation hier ist zu ernst, als über solchen Unsinn zu spotten.
Mein Freund und Gönner, der Statthalter Pontius Pilatus, der seine schwierige Aufgabe hier mit größter Sorgfalt und Umsicht bewältigt, klärte mich etwas über die politische Situation in dieser Unruheprovinz auf. Es gibt hier einen König, Herodes ist sein Name, der weit gehend mit Rom zusammen arbeitet. Lediglich aus diesem Grund wird er auch noch von Pilatus akzeptiert, denn ansonsten muss er wohl ein rechter Weichling und Taugenichts sein. Selbst sein eigenes Volk hasst und verachtet ihn. Ihr müsst wissen, dass er mit seinem Hofstaat und seiner Familie in einem prächtige Palast lebt und sich dort den Genüssen des Lebens hingibt, dass selbst Bacchus seine Freude daran haben würde. Für ihn gibt es keine Grenzen und Gesetze. Ich hasse solche Verwilderung der Sitten und der Moral! Er scheint aber im politischen Tagesgeschäft lediglich eine Marionette des Statthalters zu sein und daher ist er auf dieser Ebene recht unkompliziert und wird noch geduldet – zumindest solange er noch von Nutzen ist.
Schwieriger ist die Zusammenarbeit mit der jüdischen Führung, dem Hohen Rat, dem sogenannten „Synhedrion“. Der Sprecher dieser Gruppe ist ein „Hoher Priester“ mit Namen Kajaphas. Rom braucht solche Institutionen, um die Kontrolle zu behalten. Und was ist bequemer, als wenn sich der Gegner selbst kontrolliert…? So hat auch dieses Synhedrion einige Freiheiten zugestanden bekommen, um sie bei Laune zu halten und sie zur Zusammenarbeit zu bewegen. Die wirklich wichtigen Entscheidungen, wie z.B. die Blutgerichtsbarkeit, behält sich selbstverständlich der römische Statthalter vor.
Nun – so weit zu dem etwas komplizierten Hintergrund der Ereignisse, die ich dir nun schildern möchte. Denn ohne mein Zutun wurde ich Augenzeuge der großartigen römischen Gerechtigkeit, die nun aber doch die Frage in mir aufgeworfen hat, ob wir nicht härter und strenger gegen die Völker vorgehen sollten, die sich nicht in unsere Gemeinschaft einfinden wollen.
Als ich nämlich meine Geschäfte in Jerusalem abgeschlossen hatte, eine Stadt übrigens, die mit ihrem Gestank und dem übertrieben Lärm so gar nicht anziehend wirkt, wollte ich mich, wie du verstehen wirst: frohen Herzens, auf die Weiterreise begeben. Aber Pilatus riet mir, meine Reise um einige Tage zu verschieben. Auf meinen verständnislosen Blick hin erklärte er mir, dass am nächsten Tage eine große Feier beginnen würde, die für die Juden eine ganz besondere Bedeutung hätte. Man nennt es hier das „Pessach-Mahl“ und es sei für einen Römer höchst gefährlich, während der mehrtägigen Jubelorgie über das Land zu reisen. In den vergangenen Jahren habe es anlässlich dieser Feierlichkeiten immer wieder Unruhen gegeben. Dabei komme es leider auch zu Überfällen und Meuchelmorden, die, trotz strengster Sicherheitsvor-kehrungen, nicht zu verhindern seien. Da Pilatus auch in der Stadt mit Unruhen rechnen musste, hätte er mir nichteinmal eine bewaffnete Eskorte zur Verfügung stellen können, wie es meinem Rang und unserer Freundschaft entsprochen hätte, da jedes Schwert in der Stadt gebraucht werden würde.
Angesichts dieser Situation entschloss ich mich, diesmal, wie du verstehen wirst: schweren Herzens, meine Reise zu verschieben.
Am nächsten Morgen aber, schon einen Tag vor (!) Beginn des eigentlichen Festes, wurde ich durch das Geräusch einer krakeelenden Menschenmenge geweckt. Was für ein Volk! Als ich, erschrocken und begierig die Ursache für diesen Lärm zu erfahren, aus dem Fenster meiner Kammer schaute, sah ich eine höchst seltsame Prozession. Ein junger Mann, merkwürdigerweise aber ganz offensichtlich selbst ein Jude, wurde, von einer Schar Tempelpolizisten umringt, durch die Straßen gejagt. Ich schreibe: gejagt, denn die Polizisten hatten nicht etwa lediglich die Aufgabe, die Verhaftung durchzuführen, sondern sie mussten diesen armen Burschen auch vor der Wut seiner Landsleute schützen. Denn, obwohl vor dem Zug einige hohe jüdische Würdenträger daherschritten, wurden immer wieder Steine geworfen, die dem Mann in der Mitte des Pulkes galten und ihn auch nicht immer verfehlten. Allerdings wurden auch einige Polizisten und Würdenträger in Mitleidenschaft gezogen. Du kannst dir vorstellen, wie mir, ob eines solchen Anblickes, der Schreck in die Glieder fuhr. Ich sah, dass die Menschenmenge vor unserem Haus zum Stillstand kam und man nach Pilatus rief.
Damit ich nichts von der Vorführung dieser fremden Kultur und Gepflogenheiten verpasste, warf ich mir schnellstens meinen Umhang um und begab mich in die Richtung des Vestibüls. Tatsächlich erblickte ich auch schon Pilatus, der mit einigen der Juden, wie ich später erfuhr: der Hohe Priester und andere Mitglieder des Hohen Rates, in heftige Diskussionen verstrickt war. Es ging wohl um den jungen Mann, den ich schon von meinem Fenster aus erblickt hatte.
Der Priester ergriff als Sprecher der Gruppe das Wort:
„Wir bringen dir hier einen Mann, der schon länger das Volk aufwiegelt und Unruhe in unsere Stadt bringt. Er beleidigt unsere Tradition und unsere Stellung als religiöse Führer. Gestern hat er in unserer aller Anwesenheit – auch ich war Zeuge – eine unaussprechlicher Gotteslästerung hervorgebracht. Nach unserem Gesetz ist er deswegen des Todes und wir übergeben ihn dir zur Aburteilung.“
Ich kenne meinen Freund Pilatus und daher merkte ich an seiner Reaktion, dass etwas nicht in Ordnung war, was ich aber auf Grund meiner Unkenntnis der allgemeinen Situation nicht sofort verstand. Er entgegnete jedenfalls ziemlich schroff:
„Was habe ich mit eurer Religion zu tun? In diesem Aberglauben kann es gar keine Gotteslästerung geben. Für mich ist das jedenfalls kein Grund, einen Menschen zu verurteilen, wie Ihr wohl wisst. Und was die Unruhe angeht: mir ist es neu, dass ihr etwas gegen Unruhestifter habt, geschweige denn, dass ihr gegen sie vorgeht. Die größten Unruhestifter in dieser Provinz sitzen doch im Tempel!“
Das war deutlich! Nun verstand ich auch die Reaktion meines Freundes und ich bewunderte aufrichtig seinen klaren Verstand und wie schnell er die Zusammenhänge begriff. Mir wurde das erst sehr viel später deutlich, als ich die Situation länger bedachte und mir noch zusätzliche Informationen gegeben wurden. Pilatus merkte jedenfalls sehr schnell, dass es hier lediglich um innerjüdische Querelen ging, für die er zum Handlanger gemacht werden sollte. Aber doch nicht mit dem römischen Statthalter!! Er hielt ihnen den Spiegel vor das eigene Gesicht und gab ihnen zu verstehen, was er von ihnen (nicht) hielt.
Aber dieser Mensch namens Kajaphas ließ nicht locker:
„Wir wollen, genauso wie ihr, einen Aufstand in diesen Tagen vermeiden. Durch die Feiertage befinden sich dreimal so viele Menschen in und um die Stadtmauern, wie zu normalen Zeiten. Wenn jetzt ein Funke explodiert, behält keiner mehr die Kontrolle. Ein solches Blutbad muss vermieden werden. Und der Bursche, den wir euch bringen, könnte genau dieser Funke sein.“
Während der ganzen Zeit des Gespräches stand der, um den es ging, gefesselt auf dem Hof und lauschte der Unter-redung, in der es um nichts weniger als um sein Leben ging. Ich muss schon sagen: angesichts dieser Situation blieb er erstaunlich ruhig und gefasst und das, obwohl er schon deutliche Merkmale von erlittenen Misshandlungen an seinem Körper aufwies.
Pilatus wandte sich nun jedenfalls diesem Juden direkt zu, überdrüssig der großmäuligen und schmeichlerischen Reden und fragte ihn:
„Hast du nichts zu deiner Verteidigung zu sagen? Du weißt doch, was mit Terroristen und Unruhestiftern geschieht.“
Doch auch dieses Angebot, sich selbst zu verteidigen ignorierte er und blieb bei seinem halsstarrigen Schweigen.
Eine unverschämte Haltung, ob des großzügigen Redeangebotes des Statthalters. Mich überkam Wut gegenüber diesem verstockten Volk! Ich hatte natürlich verstanden, dass der Statthalter Zeit gewinnen wollte, um diese Juden wieder dorthin zu schicken, wo sie hergekommen waren. Auf keinen Fall war er dazu bereit, sich von ihnen für ihre selbstsüchtigen Ziele einspannen zu lassen. Schließlich hatte er die Blutgerichtsbarkeit und er würde ihnen schon zeigen, dass er nur dann zum Tode verurteilte, wenn es ihm passte.
Das verstockte Schweigen dieses Mannes jedenfalls erleichterte ihm seine Haltung nicht gerade. Und Kajaphas nutzte diese Stille für sich aus:
„Was soll der Kaiser denken, wenn er erfährt dass ihr zögert, einen Aufwiegler zu verurteilen? Denkt nur, Ihr lasst ihn jetzt frei und es kommt morgen wirklich zu einem Aufstand, der das ganze Land überziehen könnte. Wir haben jetzt jedenfalls schon bewiesen, dass wir treu zum Kaiser stehen. Und Ihr, der Ihr den Ehrentitel „Freund des Kaisers“ tragt – ob er euch diese Ehre dann noch zuteil werden lässt?“
Ich konnte erkennen, wie meinem Freund die Zornesröte ins Gesicht stieg. Später sagte er mir, dass er genau gewusst hätte, dass diese Juden ihre Drohung wahr machen würden und eine Delegation zum Kaiser schicken könnten, die sich über ihn beschwert. Vor einigen Jahren wäre genau dies schon einmal geschehen – und sogar mit Erfolg.
In diesem Moment kam ein Mitglied der Leibgarde herangestürzt und berichtete erregt, dass die Anhänger eines gewissen Terroristen mit dem Namen Barrabas dabei seien, die Situation vor dem Prätoritum anzuheizen.
Wie verworren! Kaum wendet man sich dem einen Problem zu, taucht das nächste auf. Aber selbst in dieser Situation behielt Pilatus kühl den Überblick und er ersann einen Plan, der auf jeden Fall zur Beruhigung beitragen würde: er ließ diesen Barrabas heranführen – ein wahrhaft wilder Mann, dem man seine Untaten ansehen konnte, er würde gewiss irgendwann am Kreuz enden, selbst wenn man ihn – was Pilatus durchaus in seine Überlegungen einbeziehen musste- zunächst freilassen würde. Die beiden – Barrabas und der andere – wurden dem anwesenden Pöbel jedenfalls zur Amnestie angeboten. Damit war, gleichgültig, für wen man sich entschied, die Situation zunächst beruhigt. Wie zu erwarten war, entschieden sich die stimmgewaltigen Terroristen für ihr Mitglied Barrabas. Ich hatte den Eindruck, dass Pilatus das gar nicht so ungelegen kam. Nach den Berichten seiner Geheimpolizei liefen im Untergrund schon Vorbereitungen für eine Befreiungsaktion. Bei der Hinrichtung hätte man jedenfalls mit erheblichen Unruhen rechnen müssen. Bei dem anderen schien das ungefährlicher zu sein: er hatte keine Lobby.
Pilatus befahl also kurzerhand seine Geißelung und anschließende Kreuzigung. Und um die freche Priesterschaft in ihre Grenzen zu weisen verspottete er diese bedauernswerte Kreatur noch als „König der Juden“. Wahrlich: eigentlich hätte man diesen frechen Wortführern einen solchen Lumpenknecht als König aufzwingen müssen, damit sie sich ihrer Bedeutung im großrömischen Reich bewusst würden!
Eigentlich hätte man nun davon ausgehen können, dass durch die weise Übersicht und Handlungsweise des römischen Statthalters nun endlich Ruhe einkehren würde. Doch weit gefehlt – der krönende Abschluss, aber es wurde auch kein Abschluss, denn nun fing es erst richtig an – kam ein paar Tage später:
Zunächst kamen diese Priester wieder zu Pilatus und versuchten doch tatsächlich ihm vorzuschreiben, was er auf das Schild zu schreiben habe, welches üblicherweise über die zum Tode Verurteilten gehängt wurde, damit dem ganzen Volk die Missetat kundgetan würde, wegen der sie die gerechte Strafe zu erleiden hatten. Man war nämlich gar nicht damit einverstanden, dass über diesem elend misshandelten und sterbenden Menschen noch die Bezeichnung: „König der Juden“ stand. Obwohl ich, wie ich zugeben muss, unter dem Eindruck der Ereignisse einen solchen „König“ geradezu angemessen finde.
Und es gab, obwohl fast unvorstellbar, sogar noch eine Steigerung : einige Tage später wurde uns zugetragen dass ein neuer Streit im Volke Unruhe brachte. Denn es gab das Gerücht, dass eben dieser Verbrecher, von den Toten auferstanden sei. Könnt ihr Euch das vorstellen? Was für ein Unsinn!
Ihr seht selbst, meine Liebe, wieviel in wenigen Tagen geschehen kann und wie verwirrend das manchmal ist. Für mich stellt sich die Frage, ob unsere Obrigkeiten nicht zu nachlässig und freizügig sind und ob man den Menschen nicht mehr helfen würde, wenn ihnen eine starke Hand den richtigen Weg weist.
Ich bin gespannt, was mich in den anderen Provinzen noch an Merkwürdigkeiten erwartet. Bis wir uns wiedersehen werde ich Euch jedenfalls immer wieder wahrheitsgetreue Berichte zustellen lassen, damit auch Ihr Euch ein Bild von unserem großen, facettenreichen, bunten und manchmal auch armseligen Reich machen könnt.
Bis dahin sei der Friede unserer Götter und die weise Vorsehung unseres allmächtigen und gütigen Kaisers mit Euch, auf dass es uns noch lange wohlergehe und wir allen Widrigkeiten des Lebens trotzen können!