Thema:

Wer war Schuld am Tod Jesu?

 

Diskussion zwischen einigen Geschworenen im Verlauf einer Gerichtsverhandlung

(Dargestellt als Drehbuch)

Personen: Die Geschworenen:    

Gabriel

  Michael
   Raphael
  Uriel
  Daniel
  Der Kommentator

 

 

 

 

Kommentator: Die Beweisaufnahme im Rahmen der Verhandlung gegen Judas Iskarioth ist abgeschlossen. Es fehlt nur noch das Urteil der Geschworenen. Der Anklagepunkt heißt: Verrat, der zum Tod von Jesus aus Nazareth führte.

In der Verhandlung haben die Geschworenen Aussagen von dem Hohen Priester Kajaphas, dem Statthalter Pontius Pilatus, einigen Mitgliedern des Hohen Rates und auch Beobachtungen von einigen jüdischen Zeugen der Verurteilung Jesu gehört. Außerdem haben sie genaue Beschreibungen von der Person Jesus, dem Wanderprediger aus Nazareth, dem geglaubten Messias, bekommen.

Die Geschworenen ziehen sich nun in den Beratungsraum zurück um ihre Entscheidung zu treffen. Es wird schnell klar, dass ihre Beratung länger dauern soll, als erwartet. Zwar sind sie sich fast alle einig, dass Judas nicht alleine Schuld am Tod Jesu trägt, aber trifft ihn denn überhaupt eine Schuld? Und wenn nicht, wer ist dann Schuld? Kann man denn überhaupt einen Schuldigen bestimmen?

Diese und weitere Fragen sollen im Laufe der Diskussion, die zwischen den Geschworenen entsteht, geklärt werden.

 

Gabriel: Judas’ Verrat über den Aufenthaltsort von Jesus hatte keinen großen Wert, denn der Hohe Rat muss schon vorher gewusst haben, wo sich Jesus zu dieser Zeit aufhielt. Judas Iskarioth trifft daher keine große Schuld am Tod des Wanderpredigers Jesus von Nazareth.

 

Michael, Raphael, Uriel, Daniel:  

 

Ja, dieser Meinung sind wir auch.

 

Michael:

(aus voller Überzeugung)

Ich denke, dass Jesus selbst für seinen Tod verantwortlich war, denn er hat gegen das Gesetz verstoßen. Der Hohe Rat hat bei seiner Festnahme nur seine Pflicht getan.

 

Kommentator: Diese Aussage verlangt nach Erklärungen, wie die anderen

Geschworenen meinen.

 

Michael:

 

Es hat doch schon damit begonnen, dass Jesus einen Mann in der Synagoge heilte und dabei gegen das Sabbatgebot verstoßen hat. Es durfte nämlich nur am Sabbat geheilt werden, wenn es um Leben und Tod ging, und das war nicht der Fall. Und auch viele andere jüdische Gesetze und die Thora legte Jesus oft nicht im Sinne der Priesterschaft aus. Zum Beispiel sein Umgang mit Armen, Notleidenden und anderen Randpersonen der Gesellschaft.

 

Kommentator: Das ist für die anderen Geschworenen noch nachvollziehbar, doch

ist es für sie kein Grund dafür, dass Jesus zum Tod am Kreuz verurteilt wurde. Sie wollen weitere Erklärungen von dem Geschworenen Michael.

 

Michael:

 

Jesus war gegen den Tempel! Das war der eigentliche Grund für seinen Tod.

Bei der so genannten Tempelreinigung stieß er die Tische im Tempel um und trieb die Händler davon. Er bezeichnete den Tempel als Räuberhöhle! Das konnte der Hohe Rat, der Synhedrion, doch nicht dulden.

 

Raphael:

(empört zu Michael)

Sie meinen Jesus war gegen den Tempel?! Nein, das ist nicht wahr.  Ganz im  Gegenteil, ihm bedeutete der Tempel viel und er wollte ihm seine eigentliche Bedeutung zurückgeben. Der Tempel sollte kein Ort für Geldwechsler und Händler sein, sondern ein Bethaus. Das war das Anliegen von Jesus. Er wurde nur nicht verstanden.

 

Uriel:

(sich wundernd)

Aber obwohl er bei der Tempelreinigung gesehen wurde, wurde er nicht direkt danach festgenommen. Also muss es doch noch einen anderen Grund gegeben haben. Oder nicht?

 

Raphael:

(belehrend zu Neumann)

Der Hohe Rat wollte nur einen günstigen Augenblick abwarten um Unruhen unter den Gästen des Pessachfestes zu vermeiden. Denn

es war doch bekannt, dass, wenn es bei größeren Festen zu Unruhen oder Aufständen kam, diese von Pilatus’ Truppen eiskalt

niedergeschlagen wurden. Dabei starben schon so viele jüdische Menschen, deshalb sollte es im Volk so ruhig wie möglich bleiben.

 

Daniel:

(spekulierend)

Wenn man also davon ausgeht, dass Jesus wegen dieser Kritik am

Tempel festgenommen wurde, war das doch noch kein Grund für eine Kreuzigung. Eine mildere Strafe hätte doch genügt. Außerdem hatte die jüdische Oberschicht, der Hohe Rat, doch auch gar kein Recht dazu, ein Todesurteil auszusprechen oder zu vollstrecken.

 

Gabriel: Nein, nur Pontius Pilatus, der römische Statthalter in Jerusalem, hatte das Recht dazu.

 

 

Kommentator:

 

 

 

Die logische Schlussfolgerung daraus ist natürlich, dass der

jüdische Hohe Rat Jesus zu Pontius Pilatus gebracht haben muss.

Aber warum?

Diese Frage stellen sich auch die Geschworenen.

 

Michael:

(etwas unsicher)

War es nicht so, dass der Hohe Rat in seiner Sitzung beschloss, Jesus zu Pilatus zu bringen, weil dieser sich als Messias bezeichnet hat?

 

Uriel:

(wütend)

Nein, Jesus hat sich nirgends selbst als Messias bezeichnet!

Er hat doch sogar seinem Jünger Petrus befohlen zu schweigen, als dieser ihn als Messias bezeichnete.

 

Michael:

(zunehmend sicher)

Doch, das hat er – indirekt. Durch die Aussage: „Ihr werdet sehen den Menschensohn sitzen zur Rechten der Kraft…“ sagte er, dass er zusammen mit Gott zum Endgericht erscheinen würde. Für die Juden galt diese Aussage als Gotteslästerung, denn Jesus setzte sich dadurch auf eine Stufe mit Gott!

Darum beriet sich der Hohe Rat und beschloss Jesus zu Pilatus zu bringen.

Gotteslästerung verlangte wahrscheinlich nach einer höhere Strafe, die der Synhedrion mit seinem Vorsitzenden Kajaphas selbst nicht vollstrecken konnte – aber Pilatus konnte es.

 

Uriel:

(zu Michael)

Gut, da haben Sie Recht. Aber dennoch kann es keine Sitzung im Hohen Rat gegeben haben, denn das hätte gegen das jüdische

Prozessrecht verstoßen. Es war vielmehr ein Verhör bei dem nur einige Mitglieder des Synhedrions anwesend waren.

 

Raphael:

(skeptisch)

Wie auch immer, das tut ja nichts zur Sache.

Pilatus hatte doch wohl kaum Interesse daran, einen Mann wegen

Gotteslästerung zu verurteilen. Ihm waren die religiösen Ansichten der Juden doch gleichgültig.

 

Uriel:

(erklärend zu Raphael)

Richtig, Pilatus wollte Jesus zunächst nicht verurteilen. Deswegen musste der Hohe Rat aus einem religiösen einen politischen

Grund machen. Also übersetzte er sozusagen den Begriff des Messias.

Sie machten daraus „König der Juden“. Dadurch wurde das Interesse Pilatus’ geweckt, denn die Anmaßung eines Königtitels war eine Beleidigung der römischen Majestät und musste bestraft werden.

 

 

 

 

 

Gabriel:

(wütend, aufbrausend)

Aber das würde ja bedeuten, dass Jesus ein politischer Aufrührer war, und das war er doch ganz und gar nicht! Er predigte doch sogar von Feindesliebe und Gewaltverzicht.

Er war doch kein Rebell!

 

Michael:

(erklärend zu Gabriel)

Aber der Hohe Rat konnte doch nur auf diese Weise die Aufmerksamkeit des Statthalters Pilatus gewinnen. Außerdem ist die Bezeichnung des politischen Aufrührers vielleicht gar nicht so weit hergeholt. Jesus war zwar selbst keineswegs rebellisch, aber immerhin galten einige seiner Jünger als Widerstandskämpfer. So zum Beispiel Simon Zelotes und Judas Iskarioth, womit wir dann doch wieder bei unserem Angeklagten wären.

 

Raphael:

(aufschreiend)

Also ist er doch Schuld!

Womit wir dann auch den Grund für den Verrat hätten. Denn

wenn Judas eine antirömische Haltung hatte und ein Kämpfer war,

hatte er auch politische Erwartungen an Jesus. Diese wurden von

Jesus nicht erfüllt und somit handelte er womöglich aus persönlicher Enttäuschung.

 

Uriel:

 

 

 

 

 

Also als unschuldig kann und will ich ihn nicht bezeichnen. Auch wenn der Hohe Rat wusste wo sich Jesus aufhielt, hat Judas ihn trotzdem verraten. Und wenn er keine politischen Erwartungen gehabt hätte, wäre Jesus niemals als Rebell zu Pilatus gebracht worden.

 

Michael:

(misstrauisch)

Aber ich dachte Judas hätte aus Habgier gehandelt. Immerhin hat er doch Geld dafür bekommen, dass er dem Hohen Rat verraten hat, wo sich Jesus aufhält. Oder nicht?

 

Raphael: Nein, Judas kann nicht aus Habgier gehandelt haben. Bei der Bezahlung handelte es sich um die Höhe eines Monatsgehalt eines Legionärs. Die Bezahlung war zu niedrig um aus Habgier zu handeln.

Außerdem behauptet Judas, er hätte später versucht das Geld zurückzugeben. Ihm ging es also nicht um das Geld.

 

Gabriel:

(unterbricht Raphael und Michael, überzeugt)

Also ich denke trotzdem, dass der Hohe Rat die Schuld trägt. Er hat ihn doch als den König der Juden bezeichnet, ob es nun stimmte oder nicht. Dafür kann man keinen der Jünger Jesu verantwortlich machen. Der Hohe Rat hätte das doch bestimmt auch getan wenn keine Widerstandskämpfer unter den Jüngern Jesu gewesen wären, nur um Pilatus einen guten Grund dafür zu liefern, Jesus zum Tode zu verurteilen.

 

 

 

Daniel:

(ein Ende der Diskussion erhoffend)

Also sind wir uns jetzt einig, dass der Hohe Rat mit seinem Vorsitzenden Kajaphas Schuld am Tod von Jesus aus Nazareth ist? Er hat Jesus immerhin als etwas bezeichnet was er nicht war, was letztendlich zur Kreuzigung Jesu führte. Judas Iskarioth trifft kaum eine Schuld und er muss daher auch nicht verurteilt werden.

 

Michael:

(aufschreiend)

Moment!

Ist es nicht so, dass die Kreuzigung eine römische Strafe ist?

Wir können kein jüdisches Gremium für eine römische Strafe schuldig machen.

 

Uriel:

(Michael unterstützend)

Genau, immerhin ist Pontius Pilatus derjenige, der das Todesurteil zu verantworten hat, denn er war der einzige der das Recht hatte, diese Strafe zu verhängen. Er trägt also die Schuld am Tod von Jesus aus Nazareth!

 

Raphael:

(sich gegen Uriel richtend)

Aber wie wir eben in der Verhandlung gehört haben, entschied Pilatus trotz dem politischen Anklagepunkt an Jesus nicht alleine über die Strafe. Ihm war seine politische Stellung doch viel wichtiger als der Ausgang des Prozesses.

Wenn er Jesus gleich verurteilt hätte, wäre er ja dem Willen der Juden gefolgt und damit zu ihrem Handlanger geworden. Das wollte er vermeiden. Darum hat er Jesus nicht gleich verurteilt.

 

Michael:

(Raphaels Gedanken weiterführend)

Doch als das anwesende Volk Pilatus drohte, sich beim Kaiser über ihn zu beschweren, wenn er Jesus nicht verurteile, sah Pilatus dadurch seine politische Zukunft als gefährdet an. Und genau aus diesem Grund wollte Pilatus die Volksmenge darüber entscheiden lassen, ob Jesus verurteilt werden sollte oder nicht, denn dann konnte man ihm nicht vorwerfen gegen die Interessen des Imperiums zu handeln. Das hätte ihn nämlich seine politische Stellung gekostet.

 

Gabriel:

(aufschreiend)

Die Juden sind Schuld!

Der jüdische Hohe Rat und das jüdische Volk! Sie haben das Urteil

bestimmt und Pilatus dazu gebracht, Jesus kreuzigen zu lassen!

 

Daniel:

(wütend zu Gabriel)

Wie können Sie denn nur so etwas sagen! Man kann doch kein gesamtes Volk für den Tod eines einzigen Mannes verantwortlich machen. Und ganz abgesehen davon, handelte es sich bei der genannten Volksmenge nur um eine kleine Menge Schaulustiger und nicht das jüdische Volk. Man muss sogar davon ausgehen, dass einige von ihnen vom Hohen Rat dafür bezahlt wurden.

Es war nicht „das jüdische Volk“ anwesend.

 

 

 

Michael:

(neugierig fragend)

 

Und was war mit den Jüngern des Predigers Jesus aus Nazareth?

Unternahmen die denn nichts um ihn möglicherweise zu retten?

 

Daniel:

(belehrend zu Michael)

Nein, sie waren überhaupt nicht anwesend. Seine Jünger hatten Angst um ihr eigenes Leben Denn wenn Jesus für einen Rebell gehalten wurde, mussten sie es als seine Anhänger ja auch sein.

Sie wären bei der Verurteilung Jesu wahrscheinlich selbst festgenommen und verurteilt worden. Sie haben ihn im Stich gelassen.

 

Kommentator: Wie die Geschworenen aus der Verhandlung wissen, sprach der

Statthalter Pontius Pilatus nach der Befragung des Volkes das Urteil

über Jesus von Nazareth aus: Tod durch Kreuzigung.

 

Gabriel:

 

Daniel:

 

Raphael:

 

Michael:

 

Uriel:

Also muss Pilatus letztendlich den Tod Jesu verantworten…

 

Aber wäre der Hohe Rat nicht gewesen…

 

Wenn Judas ihn nicht verraten hätte…

 

Seine Jünger hätten in der Menge sein sollen,…

 

Hätte nur alles zu einem anderen Zeitpunkt stattgefunden…

 

Kommentator: Die Diskussion nimmt kein Ende. Die Geschworenen drehen sich mit ihren Gedanken ständig im Kreis.

Es kommen immer wieder neue Kleinigkeiten hinzu, die zu diesem

Urteil über Jesus hätten führen können.

Immer mehr mögliche Gründe werden genannt und keiner der Geschworenen kann sich für einen Grund oder einen Schuldigen entscheiden.

Es wird die Schuld am Tod Jesu bei Jesus selbst gesucht, da er gegen das Gesetz verstoßen habe, bei Pilatus, weil er das Urteil fällte, bei den Jüngern, weil sie Jesus nicht verteidigten, bei dem Hohen Rat und dem Hohen Priester Kajaphas, weil sie Jesus Pilatus übergaben und aus ihn einen politischen Aufrührer machten. Einige sprechen auch den Zeitraum, in dem alles geschah, als Grund für den Tod Jesu an. Es gibt also genügend mögliche Schuldige, doch keiner der Geschworenen findet für sich den wahren Schuldtragenden. Und keiner ist sich über die Schuld oder Unschuld des Angeklagten Judas sicher.

Die Geschworenen wechseln ständig ihre Meinung über die

Geschehnisse und kommen zu keinem Ergebnis.

Die Verhandlung kann nicht abgeschlossen werden; es kann

kein Urteil gefällt werden.

 

Wahrscheinlich könnte diese Verhandlung eine Ewigkeit dauern, doch zum Glück spielt Zeit bei diesem Gericht keine Rolle.

 

 

Hierbei handelt es sich um eine Verhandlung im Rahmen des Jüngsten Gerichtes.

Die Geschworenen sind die vier Erzengel (Gabriel, Michael, Raphael und Uriel) und der Engel der Barmherzigkeit (Daniel).

Der Angeklagte und die Zeugen sind bereits tot und warten nur noch das Urteil ab, das darüber entscheidet ob ihnen die Tore des Himmels oder die tiefen Schluchten der Hölle geöffnet werden.

Zur Zeit der Verhandlung befinden sie sich jedoch noch alle im Fegefeuer.

Zwar soll die Verhandlung darüber entscheiden, wohin sich der Angeklagte Judas Iskarioth begeben darf beziehungsweise muss, doch wenn er für unschuldig befunden wird, wirkt sich dieses Urteil auch auf die Entscheidungen über die anderen Betroffenen aus.

Die Entscheidung der Geschworenen betrifft also womöglich nicht nur Judas Iskarioth, sondern auch Pontius Pilatus, den Hohen Priester Kajaphas und auch die anderen Mitglieder des Hohen Rates. Vielleicht sogar noch weitere Personen oder Personengruppen.